Manchmal lernt man ebenso ungewöhnliche wie interessante Menschen durch Zufall kennen. So wie wir vom Journal Graz, als wir unlängst durch die Kärntnerstraße fuhren. Dort stießen wir auf Matthias Grasser, der auch „Professor Inklusion“ genannt wird und als Betroffener Vorsitzender des Steiermärkischen Monitoringausschusses für Menschen mit Behinderung ist.
Wir sahen aus dem Auto einen Mann im Rollstuhl, der sich bei der großen Busgarage der Holding Graz über die Gehsteige in Richtung Straßgang kämpfte. Ein Kampf war es für ihn deshalb, weil die Fußgängerwege dort teilweise sehr schmal sind, hohe Randsteine haben und so das Überqueren von Seitengassen erschweren. Bei einer solchen „Auffahrt“ landete er in einem Gebüsch. Wir wendeten sofort unser Auto und wollten ihm helfen. Der Rollstuhlfahrer hatte sich aber inzwischen selbst befreit und war schon wieder unterwegs.
Als wir ihn ansprachen, stellte er sich als Matthias Grasser vor. Der 40-Jährige ist seit seiner Geburt schwer behindert. Sauerstoffmangel während des Geburtsvorganges führte bei ihm zu einer Spastischen Tetraparese, einer Behinderung aller vier Gliedmaßen. Seit seinem 16. Lebensjahr benutzt Grasser einen elektronischen Rollstuhl, den er mit dem Kinn steuert. Als wir ihn trafen, kam er gerade aus Gösting, wo er im Hause der Mosaik-Gesellschaft eine Wohnung gemietet hat und selbst bezahlt. Sein Ziel mit dem Rolli war die Cura-San-Orthopädie in der Kärntnerstraße, wo er sich eine Sauerstoffflasche für unterwegs kaufen wollte.
Matthias Grasser ist ein sympathischer und, wie sich im Gespräch schnell herausstellt, blitzgescheiter Mann, der auch die Handelsschule absolviert hat. Er kann viel erzählen: Zum Beispiel, dass er geschiedener Vater von zwei Kindern ist, die inzwischen neun und 13 Jahre alt sind.
In seiner behindertengerechten Wohnung benötigt Matthias professionelle Hilfe. Drei Assistentinnen gehen ihm bei so alltäglichen Tätigkeiten wie Körperpflege oder der Haushaltsführung zur Hand. „Eigentlich bin ich ziemlich selbstständig, aber weil ich Arme und Beine nicht bewegen kann, bin ich auf diese körperliche Unterstützung angewiesen.“ Dank der modernen Technik wie Sprachassistenten kann er auch E-Mails lesen und schreiben.
Sein Herz gehört der Behindertenarbeit. „Ich bin in tausenden Projekten und Vereinen aktiv“, berichtet Grasser. „Ich tue dort viel für die Öffentlichkeit und das mit vollem Einsatz. Mein Ziel ist es, anderen Behinderten zu zeigen, dass wir trotz Handicaps sehr viel erreichen können. In meiner Arbeit geht es nie um mich, immer um die Sache!“ Im Kampf für die Anliegen der Behinderten sieht der Rollstuhlfahrer seine Berufung.
Matthias berät trotz seiner Behinderungen offizielle Stellen und Behörden in Sachen Behindertenrechte und Behindertenbedürfnisse. Grundlage ist dabei immer die europäische Behindertenrechte-Konvention. Seit kurzem unterrichtet Grasser auch an der Pädagogischen Hochschule in Graz.
Der nach Eigendefinition „Kämpfer für die Inklusion“ setzt sich von klein auf für die Rechte der Betroffenen ein. Davon gibt es viele: EU-weit betrachtet sich jeder vierte Mensch als auf irgendeine Art körperlich oder psychisch beeinträchtigt, in Österreich ist es sogar jeder Dritte. Österreich stellt Grasser ein eher schlechtes Zeugnis aus: „Natürlich ist in Graz in den vergangenen Jahrzehnten baulich viel für Behinderte passiert, aber es ist immer noch viel zu wenig.“ Das sehe auch die EU-Kommission so, die Österreich 2023 schlechte Zensuren für die Inklusion Menschen mit Behinderung gegeben hat.
Wie recht Matthias Grasser hat, davon konnten wir uns in der Kärntnerstraße mit eigenen Augen überzeugen. Die Gehwege sind dort zum Teil ungeeignet, so dass Menschen im Rollstuhl oder Blinde in ernsthafte Schwierigkeiten kommen können. Matthias musste sogar auf die Fahrbahn ausweichen, weil Rollsplit auf dem Gehsteig lag, was der Rollstuhl nicht bewältigen konnte. In der viel befahrenen Ausfahrtsstraße kein ungefährliches Unterfangen. Das bringt uns zum Nachdenken – es gibt eben nicht nur Radfahrer, die sich auf breiten Wegen ungehindert durch die Stadt bewegen dürfen.
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